Programm für demokratisches Handeln und gegen Extremismus

08.09.2012: held/in dorf - Modellprojekt der Amadeu Antonio Stiftung

Im Rahmen des Modellprojekts "Region in Aktion" fand am Wochenende das held/in dorf Festival statt: mit einem Markt der Möglichkeiten, einer außergewöhnlichen Busfahrt und einem Erntedankfest der besonderen Art. Die Projektmitarbeiterinnen Swantje Tobiassen und Stella Hindemith berichten.

held/in dorf (Quelle: AAS)
Projekt "held/in dorf" (Quelle: AAS)
Damerow hat wieder ein Café. Der Dorfchronist aus dem kleinen Ort in Vorpommern hat sich für einen Treffpunkt im Ort eingesetzt. Als er in den Bus einsteigt in dem Vorpommeraner, Besucher/innen und internationale Künstler/innen sitzen, schallt ihm Applaus entgegen. In den Augen der Reisenden ist er ein Held, einer, der einem kleinen verschlafenen Dorf wieder Leben eingehaucht hat.

Um regionale Held/innen kennenzulernen hat die Amadeu Antonio Stiftung gemeinsam mit schloss bröllin e.V. aus Vorpommern, Zossen zeigt Gesicht aus Brandenburg und The Working Party aus Berlin das Projekt „Region in Aktion – Kommunikation im ländlichen Raum“ initiiert, dessen Höhepunkt Anfang September mit einer außergewöhnliche Busreise und anschließendem Festessen stattfand.

Auf der Reise stellten lokale Vereine und Initiativen ihre Angebote vor und schufen vielfältige Begegnungen. Immer wieder hielten die Busse, damit die Reisenden Tanz und Theater auf Feldern und Plätzen erleben konnten. Dabei entstanden nachdenkliche, aber auch witzige Bilder: Vor dem Kulturhaus Kino Brüssow kehrte gerade eine Frau Pferdeäpfel von der Straße, während die Reisenden wenige Meter von ihr und mit Blick auf sie eine schauspielerische Annäherung an das Thema Kino-Helden verfolgten. Die Tour verband Theater und die Vorstellung der Initiativen. Auf unterhaltsame und kreative Weise wurde auf der Reise die Herausforderung gemeistert, Kommunikation zwischen den weit verstreuten zivilgesellschaftlichen Initiativen herzustellen und sie den Menschen in der Region vorzustellen. Zusammen mit den schauspielerischen Darbietungen und einer Audio- Collage mit Interviews von Menschen aus der Region zum Thema Helden entstand so ein Gesamtkunstwerk und Auseinandersetzung mit Heldenmythen und demokratischen Alltagshelden.
Der Abend wurde mit einem Erntedankfest der besonderen Art eingeleitet. Kaspar und Susanne, Aktionskünstler aus Stuttgart, sind über die Dörfer gefahren, haben Gärtner/innen kennengelernt und aus ihrem Gemüse zwei Töpfe voller Suppe für 200 Gäste gekocht. Viele Gärtner/innen sind zum Abendessen gekommen, einige waren schon auf der Busfahrt dabei. Ein Ehepaar, das Zucchini und Kartoffeln gespendet hat, zerschnitt feierlich das Band und eröffnete das Festessen.

In Vorpommern ist der demographische Wandel deutlich spürbar. Auch wenn der Trend zur Urbanisierung ein weltweites Phänomen ist, fällt es in kleinen Dörfern besonders auf wenn junge Menschen fehlen. In dieser Situation unterliegen öffentliche Strukturen einem starken Anpassungsdruck. Dies äußert sich beispielsweise so, dass Menschen gar bis zu 50km fahren müssen, wenn sie ihren Bürgermeister, Pfarrer oder Schulleiter persönlich sprechen möchten. In dieser Situation, die sehr großen Einfluss auf die alltägliche Kommunikation hat, tummeln sich mitunter auch rechtsextreme Ideologen, die mit scheinbar einfachen Lösungen für komplexe gesellschaftliche Probleme hausieren gehen. Bei manchen Bewohner/innen der Region können sie sich so als die einzigen „Kümmerer“ in der Region inszenieren und stellen eine wesentliche Gefährdung der demokratischen Kultur im Gemeinwesen dar.

Durch das Projekt "Region in Aktion" werden Personen, Vereine und Initiativen gestärkt, die diese Entwicklungen nicht unwidersprochen hinnehmen. Mit den Mitteln der darstellenden Kunst und kulturellen Bildung werden neue Formen gegenseitiger Wahrnehmung und Anerkennungskultur geschaffen. Dadurch kann eine Bühne für zivilgesellschaftliche Initiativen entstehen, die sich für eine demokratische Kultur in der Region einsetzen.

Die Suche nach lokalen Held/innen fand in mehreren Schritten statt. Im ersten Teil wurden gemeinsam mit Akteuren aus der Region eine Sozialraumanalyse und aktivierende Befragung durchgeführt. Anschließend fanden auf Schloss Bröllin, einer internationalen Kunst- und Begegnungsstätte, von Künstlern geleitete Workshops statt, deren Ergebnisse auf der Bustour einem breitem Publikum präsentiert wurden. Erstaunliche Geschichten wurden zutage gefördert und das Thema „Held/innen“ vielschichtig bearbeitet und ein so liebevoller Blick auf die Region präsentiert. Auch die Busfahrer von der kreislichen Verkehrsgesellschaft zeigten sich begeistert von der ungewöhnlichen Tour. „Wir wussten gar nicht, dass es das alles gibt!“

Bei „Region in Aktion“ arbeiten Experten für die Unterstützung demokratischer Initiativen und Experten für Kunst und Kultur mit lokalen Akteuren zusammen. Das Projekt spiegelt die zentralen Ziele der Amadeu Antonio Stiftung wider. Sie stärkt seit ihrer Gründung 1998 eine demokratische Zivilgesellschaft, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet. Hierfür hat sie überall in Deutschland über 580 lokale Initiativen und Projekte in den Bereichen demokratische Jugendkultur, Schule, Opferschutz und Opferhilfe, kommunale Netzwerke sowie Hilfsangebote für Aussteiger aus der Naziszene unterstützt.

Die Autorinnen Swantje Tobiassen und Stella Hindemith arbeiten im Projekt "Region in Aktion" für die Amadeu Antonio Stiftung. Das Projekt wird gefördert durch das Bundesministerium des Innern im Rahmen des Programms "Zusammenhalt durch Teilhabe".