Programm für demokratisches Handeln und gegen Extremismus

Mehr als Autos und Technik

Die blauen Uniformen des Technischen Hilfswerks lösen weltweit Assoziationen aus. Die Freiwilligen helfen bei Katastrophen, retten Menschen in Not. Inzwischen kümmert sich der Jugendverband des THW noch um etwas anderes: die politische Bildung des Nachwuchses.
von Susanne Kailitz
Fotos: Andrey Isotov und Joerg Farys

Mitarbeiterinnen der THW Jugend mit Faktensetztern
Mitarbeiterinnen der THW Jugend mit "Faktensetzern"
Manchmal entstehen die besten Dinge quasi nebenbei. Die Faktensetzer der THW-Jugend zum Beispiel hatte niemand wirklich auf dem Schirm – inzwischen sind sie in der Jugendarbeit des Technischen Hilfswerks ein echter Renner und kommen zu verschiedenen Gelegenheiten zum Einsatz. Die Getränke-Untersetzer sind beidseitig bedruckt. Auf der einen Seite prangt ein gängiges Vorurteil gegenüber Geflüchteten, wie „Die verschwenden das Geld, das wir ihnen geben“. Rückseitig stehen die notwendigen Fakten, die die Sache klarstellen und Ressentiments möglicherweise ihre Wirkung nehmen. Im konkreten Fall also die Information, dass geflüchtete Menschen mit einem anerkannten Status monatlich 351 Euro erhalten, 50 Euro weniger als der Hartz-IV-Regelsatz.

Auf dem Pappdeckel mit der Aussage „Denen kann es ja gar nicht so schlecht gehen, die haben ja alle Smartphones“ findet man nicht nur die Erklärung, dass Smartphones weltweit die meistgenutzten Mobilfunkgeräte sind, sondern auch die, dass sie auf der Flucht häufig das einzige Mittel sind, um mit der Familie in Kontakt zu bleiben und genauso dafür genutzt werden, Route und Standort per GPS zu ermitteln. Als „Antenne“ helfe das Handy zudem dabei, sich im neuen Land zu verständigen, heißt es dort. Neben den Fakten gibt es auf jedem Untersetzer einen QR-Code, ein elektronisches Muster, das mit dem Smartphone ausgelesen werden kann und weitergehende Informationen liefert. Inzwischen sind mehr als 350 000 Stück gedruckt und verteilt worden.

Die Untersetzer kämen in verschiedenen Formaten zum Einsatz, erklärt Maria Stankovicova. Die junge Frau ist pädagogische Mitarbeiterin in der Bundesgeschäftsstelle der THW-Jugend mit Sitz in Bonn. „Es gibt mehrere Spielvorschläge: Man kann aus den Faktensetzern Kartenhäuser bauen und sie lassen sich auch als Memory einsetzen. Die Jugendlichen sind da sehr kreativ.“ Das Spielerische ist ausdrücklich gewollt, die Untersetzer sollen mehr sein, als nur Transportmittel für Fakten.

Schweres Gerät lockt Nachwuchs


THW-Logo Fahrzeuge
THW Logo
Wirklich geplant war das alles jedoch nicht: Als das Bundesprogramm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ 2016 für Vereine und Träger aus Westdeutschland geöffnet wurde, da habe das THW gerade mit der Bewältigung des Flüchtlingszustroms zu tun gehabt, meint Iris Plasberg von der THW-Jugend in Hessen. „In dieser Zeit ist das THW als Helfer sehr sichtbar gewesen, aber unsere Freiwilligen haben auf einmal viele Sprüche zu hören bekommen – so unter dem Motto ‚Die verschwenden unser Geld und ihr helft denen noch, indem ihr Unterkünfte baut‘. Da ist uns schnell klar geworden, dass wir dringend etwas unternehmen müssen, um diesen Anfeindungen etwas entgegen zu setzen.“ Auf den letzten Drücker habe die THW-Jugend einen Antrag gestellt und sei so in die Förderung des Programms aufgenommen worden, so seien dann die Faktensetzer entstanden.

Was viele gar nicht wissen: Das THW ist in der Jugendarbeit ein echt großer Player. 1950 als Zivil- und Katastrophenschutzorganisation des Bundes gegründet, untersteht es dem Bundesinnenministerium und leistet mit rund 1000 Hauptamtlichen und mehr als 81 000 Ehrenamtlichen technische Hilfe im Zivilschutz, aber auch im Ausland. Verschiedene „Schnelleinsatzeinheiten“ können innerhalb weniger Stunden weltweit Hilfe leisten, wenn Menschen nach Naturkatastrophen in Not geraten sind.

Die THW-Jugend kam 1984 als eingetragener Verein dazu. Rund 15 000 Jugendliche engagieren sich in mehr als 660 Ortsjugenden und werden unter dem Motto des Vereins „spielend helfen lernen“ an die imposante Technik des Hilfswerks herangeführt. Das schwere Gerät ist dabei allerdings nur ein Teil der Jugendarbeit – die so genannten Junghelferinnen und -helfer nehmen genauso an Ausflügen, Seminaren oder Workshops teil, in denen es im weitesten Sinne um Jugendbildung geht. Seit 2016 wird auch die THW-Jugend nahezu flächendeckend von „Zusammenhalt durch Teilhabe“ finanziell unterstützt. Die Strukturen des Verbandes sollen in punkto Teilhabe und Mitgestaltungsmöglichkeiten gestärkt und die Helferinnen und Helfer fit gemacht werden, „blöden Sprüchen und Vorurteilen etwas entgegen zu setzen“.

Seminare sind meist überbucht


Iris Plasberg erzählt, dass sie manchmal über das Interesse der Jugendlichen staune. „Die lassen sich für sehr viel mehr Dinge begeistern, als man glaubt.“ Im letzten Jahr habe ihre Landesjugend etwa ein Seminar zum Ursprung der Demokratie angeboten. „Danach haben die Jugendlichen den Wunsch geäußert, mehr über Hessens Geschichte zu erfahren. Die wollten gern wissen, wie das mit der Entwicklung der Demokratie hier in ihrer Heimatregion gelaufen ist.“ Nun wird es in diesem Jahr ein weiteres Seminar geben, das sich genau dieser Frage widmet – in der Stadt Rotenburg an der Fulda wird sich der THW-Nachwuchs dann mit der Geschichte des Mittelalters beschäftigen, an einem anderen Tag die frühere innerdeutsche Grenze besuchen und dort etwas über das politische Regime in der DDR erfahren.

Plasberg aber würde gern noch viel häufiger Seminare nach den Wünschen der Jugendlichen anbieten, gesteht sie. 1200 Mitglieder zähle allein die hessische THW-Jugend. „Bei einem Seminarwochenende können wir gerade einmal 25 Jugendliche berücksichtigen, was dazu führt, dass unsere Angebote auch immer überbucht sind. Wenn wir die finanziellen Mittel und Kapazitäten hätten, würden wir noch viel mehr möglich machen.“ Plasberg ist überzeugt vom Vorgehen: In den Seminaren und Workshops würden sich die Jugendlichen gesellschaftlichen Fragen anders nähern als etwa in der Schule. „Dort geht es nach Lehrplan und was im Unterricht passiert, das muss gemacht werden. Bei uns bekommen sie die Chance, sich den Themen aus eigenem Interesse und Antrieb zu widmen. Ich glaube, so bleibt einfach mehr hängen, als wenn man durch den Stoff muss, weil der Lehrplan es so will.“

Das Hilfswerk als große Familie


"Die verschwenden das Geld was wir ihnen geben"
Fakten
Momentan konzentriert sich der Jugendverband des THW außerdem darauf, Demokratieberaterinnen und -berater auszubilden. Auch in Hessen laufen zurzeit die ersten Ausbildungswochenenden an – in fünf Modulen sollen die Freiwilligen die Strukturen von THW und Jugendverband kennenlernen, aber auch mehr über das Funktionieren von Demokratie, Moderation und Konfliktmanagement erfahren. Anders als in anderen Bundesländern sind in Hessen auch Teilnehmende willkommen, die noch nicht volljährig sind. „Wir denken, dass das eine gute Sache ist“, meint Plasberg, „weil gerade Altersgenossen untereinander eine andere Art der Ansprache haben.“ Bei Unsicherheiten könnten erfahrene Beraterinnen und Berater als Tutorinnen und Tutoren zur Verfügung stehen. Gleichzeitig sei die Ausbildung auch eine gute Möglichkeit, um den eigenen Nachwuchs zu fördern: Wer sich wirklich reinhänge, empfehle sich womöglich auch für weitere Aufgaben innerhalb des THW oder des Jugendverbandes.

Während die THW-Jugend in Hessen in Sachen Demokratieberatung gerade erst am Anfang steht, hat man damit in Berlin schon Erfahrung. Hier hat die THW-Jugend schon 2014 Beraterinnen und Berater ausgebildet. Die Chefetage hätten damit Weitsicht bewiesen, bemerkt Ingke List, die für die THW-Jugend Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt als Jugendbildungsreferentin arbeitet. „Hier bei uns wurde vielleicht einfach früher als woanders erkannt, wie wichtig politische Bildung für einen Verband wie den unseren ist.“ Deshalb werde die Ausbildung auch weiter fortgesetzt, zudem gebe es inzwischen Fortbildungsseminare für die Beraterinnen und Berater der THW-Jugend, deren Ausbildung längst abgeschlossen ist. Unter dem Motto „Vom ich zum wir“ gehe es gerade vor allem darum, das Miteinander innerhalb des Landesverbands zu stärken und die Überzeugung tiefer zu verankern, „dass wir alle Teil einer großen THW-Familie sind“.

Keine dreistündige Powerpoint


Dabei habe sich ihre Landesjugend bewusst entschieden, über die Themen Rechtsextremismus und Demokratie hinaus auf Formate zu setzen, „die sich mit dem Alltag der Jugendlichen verknüpfen ließen. Als es etwa um die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen gegangen sei, habe man mit einer Stadtrallye der ganz besonderen Art einen Treffer gelandet. „Die Jugendlichen wurden ausgestattet mit einem Blindenstock, einem Rollstuhl oder einem speziellen Gehörschutz und mussten verschiedene Aufgaben erledigen – und dabei haben sie dann am eigenen Leib erfahren, welche Herausforderungen damit verbunden sein können. Wer hat denn jemals darüber nachgedacht, wie man am Ticketautomaten blind eine Tageskarte zieht? Jetzt wissen unsere Jugendlichen, dass es dafür eine bestimmte Tastenkombination gibt. Die Erfahrung, wie man sich fühlt, wenn man in bestimmten Bereichen eingeschränkt ist, hat zu spannenden Gesprächen darüber geführt, dass man vielleicht gar nicht ‚behindert‘ ist, sondern auch behindert wird und wie viele Formen von Andersartigkeit es eigentlich gibt.“

Noch in diesem Jahr werde Ingke List Seminare wie „Das ist ja voll schwul“ oder „Ey, du Penner“ anbieten und auch dann werde es wieder darum gehen, sich Themen wie Homosexualität und Obdachlosigkeit auf eine Art anzunähern, die etwas mit der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen zu tun habe. „Bei einer dreistündigen Powerpoint-Präsentation schalte ich sogar als Erwachsene irgendwann ab“, lacht sie. „Um unsere Jugendlichen zu begeistern, müssen wir uns mehr einfallen lassen.“ Der nächste Höhepunkt werde das Landesjugendlager im Juli sein – ein Zusammentreffen, das die Nachwuchsverbände im Wechsel anbieten. Dann werde sie vermutlich auch die Faktensetzer wieder im Gepäck haben, sagt List. „Ich bin sicher, die werden dort auf reges Interesse stoßen.“