Programm für demokratisches Handeln und gegen Extremismus

Wenn Engagierte ähnlich ticken

Auf den ersten Blick haben sie kaum etwas gemeinsam, doch in Thüringen haben sich Feuerwehr und Sportbund zusammengetan, um ihre Mitglieder zu schulen – in Sachen Demokratie. Warum? Weil sich beide Verbände in der Verantwortung sehen.
von Susanne Kailitz
Fotos: Christopher Schmid

Kevin Vogler, Feuerwehr Thüringen
Kevin Vogler, Feuerwehr Thüringen
Kevin Vogler ist mit Leib und Seele Feuerwehrmann. Seit Jahren gehört er zum Löschtrupp im Unstrut-Hainich-Kreis, gelegen zwischen Erfurt und der thüringisch-hessischen Grenze, und engagiert sich im Vorstand der thüringischen Kreisjugendfeuerwehr. Als der Mittzwanziger vor gut drei Jahren bei einer Tagung angesprochen wurde, ob er sich nicht vorstellen könne, eine Beraterausbildung zu machen und dieses Wissen dann in seinen Verband einzubringen, zögerte er nicht lange. „Ich finde es wichtig, dass gerade die Jugend ein Sprachrohr hat – in den üblichen Strukturen der Feuerwehr finden sich in den Vorständen oftmals ältere Kameradinnen und Kameraden. Aber die Anliegen der Jüngeren müssen genauso gehört werden, sonst laufen wir Gefahr, den Nachwuchs zu verlieren.“

2015 stieg Vogler schließlich als Quereinsteiger in die laufende Qualifizierung zum Demokratieberater ein, in diesem Jahr wird er in dem neu aufgelegten Ausbildungsprogramm zum „couragierten Berater“ die Module belegen, die ihm zum Zertifikat noch fehlen. Während der Ausbildung wird er es aber nicht nur mit anderen Feuerwehrmitgliedern zu tun haben, sondern auch auf Engagierte aus verschiedenen Sportvereinen treffen. Denn die Fortbildung, die Vogler noch bis Dezember absolvieren wird, ist eine besondere: sie wird von der Thüringer Feuerwehr und dem Landessportbund Thüringen gemeinsam durchgeführt.

Eine außergewöhnliche Kooperation, die für Anja Rödinger-Erdmann, die das Projekt für den Thüringer Feuerwehr-Verband betreut, aber auf der Hand liegt: „Die Menschen, die sich bei der Feuerwehr und in Sportvereinen engagieren, ticken einfach ähnlich“, erklärt sie, „und außerdem haben unsere beiden Organisationen schon seit Jahren einen engen und regen Austausch, weil die Vorstände richtig gut zusammenarbeiten.“ Als sie dann vor einiger Zeit mit einer Kollegin vom Landessportbund überlegt habe, „dass wir eigentlich mal etwas zusammen machen könnten“, sei man schnell darauf gekommen, dass beide Verbände von einer gemeinsamen Ausbildung profitieren würden.

Vor 2011 hat die Feuerwehr ehrenamtliche Beraterinnen und Berater im Projekt „Einmischen, Mitmachen, Verantwortung übernehmen“ ausgebildet, genauso lange existiert das Projekt „Sport zeigt Gesicht“ des Thüringer Landessportbundes. Auch er hat Menschen ausgebildet, die als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren Trainerinnen und Trainern dabei helfen, antidemokratische Tendenzen zu erkennen und ihnen entgegen zu wirken. Gelingt das nicht, beraten sie die Vereine und zeigen Lösungsmöglichkeiten auf. Im vergangenen Winter schlossen beide Organisationen einen Kooperationsvertrag ab, der die Zusammenarbeit auf ein festes Fundament stellt. Als Verbände seien Sportbund und Feuerwehr ein „Spiegelbild der Gesellschaft“ heißt es darin und müssten sich der Tatsache stellen, dass diskriminierende und menschenfeindliche Einstellungen in der Gesellschaft „kein Randphänomen“ mehr seien, sondern sowohl in der Mitte der Gesellschaft wie auch im politischen Raum „deutlich sichtbarer“ geworden seien. Gemeinsam wolle man deshalb die demokratischen Strukturen und Prozesse innerhalb der beiden Organisationen stärken wie auch in das Gemeinwesen hinein wirken. Teilnehmen können alle Mitglieder von Feuerwehr und Sportbund, die älter als 18 Jahre sind. Aktuell lassen sich 17 Engagierte ausbilden. Mit der gemeinsamen Initiative ist die Chance groß, viele Menschen zu erreichen: So hat der Landessportbund mehr als 370.000 Mitglieder in über 3.000 Vereinen. Der Thüringer Feuerwehr-Verband zählt rund 37.500 aktive Feuerwehrangehörige im Verband und zusätzlich 12.500 Mitglieder in der Jugendfeuerwehr.

Anreiz für Jugendliche


Gefördert wird die Ausbildung der couragierten Berater durch das Bundesprogramm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ und das hat klare Kriterien für die Ausbildung von Beratern und Beraterinnen definiert. Ehren- und hauptamtlich Tätige in Verbänden und Vereinen in ländlichen oder strukturschwachen Gegenden sollen befähigt werden, „wirksame Handlungsansätze zur Stärkung demokratischer Teilhabe in den Verbands- und Vereinsstrukturen sowie zur Extremismusprävention zu entwickeln, umzusetzen und nachhaltig zu verankern“, heißt es in dem entsprechenden Kerncurriculum. Genau davon ist man auch bei Feuerwehr und Landessportbund in Thüringen überzeugt. Bisher seien etwa die Strukturen bei der Feuerwehrausbildung nicht unbedingt dazu geeignet gewesen, um attraktives Lockmittel für Jugendliche zu sein, erzählt Kevin Vogler. „Häufig hat die Grundausbildung an fünf bis sechs Wochenenden hintereinander stattgefunden. Das ist für 16-Jährige, die sich um ihre Schule oder Ausbildung kümmern müssen, nicht einfach zu wuppen.“ Durch das Engagement der Jüngeren und weiterer Kameraden werde nun das entsprechende Feuerwehrgesetz überarbeitet, so dass es mehr Zeit für eine modular aufgebaute Ausbildung geben soll – für die Jugendlichen werde das das eine große Verbesserung der Ausbildungsbedingungen sein.

Methoden ausprobieren


Anja Rödinger betreut die Ausbildung für den Thüringer Feuerwehrverband.
Anja Rödinger, Thüringer Feuerwehrverband
Seine eigene Ausbildung zum Demokratie-Berater wird Vogler in diesem Jahr noch etwa vier Wochenenden kosten. In insgesamt sechs Modulen werden die Engagierten geschult: Während sie im ersten Treffen etwas über die Strukturen beider Verbände und die Ausbildungsinhalte erfahren, geht es dann weiter mit den Themen Kommunikation, Vorurteile, Beratung und Methoden der politischen Bildung. Anja Rödiger-Erdmann hat selbst an den Workshops teilgenommen und weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig ein gutes Fachwissen ist. „Wenn es darum geht, sachlich gegen Rassismus oder Diskriminierung zu argumentieren, muss man einfach Werkzeuge der Kommunikation beherrschen.

Und wenn ich junge Leute erreichen will, hilft es mir, wenn ich fit darin bin, in Gruppen zu moderieren und etwas über die richtige Gestaltung von Workshops weiß.“ In der Projektbeschreibung beider Verbände heißt es dazu, es gehe explizit nicht nur um die reine Wissensvermittlung. Vielmehr sollten die einzelnen Module die Gelegenheit geben, unterschiedliche Methoden selber auszuprobieren - so könnten die künftigen Beraterinnen und Berater die eigene Handlungssicherheit stärken. In eigenen Praxisprojekten sind Ausbildungsteilnehmerinnen und Teilnehmer deshalb zum Schluss ihrer Ausbildung gefordert, die Theorie in die Praxis zu bringen. Dabei gelinge es häufig auch, die Werte der Organisationen sichtbar zu machen, sagt Anja Rödiger-Erdmann: „Da können wir etwa bei Familien- und Projekttagen sehr spielerisch zeigen, wofür die Feuerwehr steht. Und ganz nebenbei können dann wichtige gesellschaftliche Fragen angesprochen werden - etwa, wenn es darum geht darzustellen, seit wann und warum die Feuerwehr auch Frauen offen steht.“

Rivalität der Vereine


Für Kevin Vogler bedeutet das geforderte Praxisprojekt, dass er im Sommer gemeinsam mit einem Kollegen vom Landessportbund einen Teamtag mit Sportlern und Feuerwehrfrauen und -männern gestalten wird. Dabei könne man, wenn alles gut laufe, auch Berührungsängste abbauen, hofft der 25-Jährige: „Vor allem in den Dörfern gibt es immer noch eine gewisse Rivalität unter den Vereinen. Das heißt, man spielt entweder Fußball oder geht zur Feuerwehr oder zum Karnevalsverein. Das liegt natürlich auch daran, dass jedes dieser Hobbys zeitintensiv ist und es oft schwierig ist, beides zu machen. Aber wir würden gern zeigen, dass es zwischen den Vereinen viele Gemeinsamkeiten gibt.“ Ähnlich sind häufig auch die Problemlagen in Feuerwehr und Sportbund. Thomas Kulb, im Landessportbund Thüringen zuständig für die Ausbildung der couragierten Berater, erzählt, dass es in den Sportvereinen immer wieder eine Herausforderung sei, die Belange der Jungen zu Gehör zu bringen. Weil man aber darauf angewiesen sei, immer wieder neue Mitglieder zu finden, die auch bereit seien, Verantwortung zu übernehmen, sei die Aushandlung der Interessen unter den Generationen wichtig. Hier könnten die Berater gut wirken, weil sie vor Ort Einsicht in Strukturen und Abläufe hätten. Ähnlich sieht man die Sache bei der Feuerwehr: „Man darf die Wirkung von Gesprächen nicht unterschätzen, die spontan zwischen Tür und Angel stattfinden“, sagt Anja Rödiger-Erdmann, „wenn man einen Berater vor Ort ganz unkompliziert ansprechen kann, klären sich viele Probleme quasi nebenbei.“

Verantwortungsgefühl


Manches dagegen ist komplizierter. So stelle sich den Sportvereinen immer wieder die Herausforderungen, ihre Satzungen so zu gestalten, dass ein klarer Umgang mit Kandidaten möglich sei, die durch rassistische oder menschenfeindliche Positionen auffällig geworden seien, erzählt Thomas Kulb. Hier könne man die Dinge über die Satzung steuern - allerdings gebe es Vereine, die in ihrer Satzung eine Passage gegen Diskriminierung hätten, dies aber nicht leben. Gleichzeitig hätten einige Vereine keine entsprechenden Passagen, hielten sich aber dennoch an grundlegende Werte.

Beratung und Diskussion seien auch dann gelegentlich nötig, wenn es um Sponsoring gehe. „Die Vereine brauchen Geld und sind natürlich froh, wenn Spenden von Firmen kommen. Aber wie positioniert man sich, wenn das Geld von jemandem kommt, der sich etwa öffentlich menschenfeindlich positioniert?“ Grundsätzlich trage der Sport im Land eine große Verantwortung, insbesondere in der Jugendarbeit. „Wir können und wollen uns nicht darauf zurückziehen, dass es in den Vereinen nur darum geht, Fußball oder Tennis zu spielen. Wir haben auch eine Verantwortung für das, was in der Gesellschaft passiert.“ So steht es auch in der Kooperationsvereinbarungen zwischen Sportbund und Feuerwehr: Man werde Position beziehen, „wenn demokratische Spielregeln verletzt oder menschenfeindliche Äußerungen formuliert werden.“ Für den jungen Feuerwehrmann Kevin Vogler ist das eine Selbstverständlichkeit. Sein Motto laute „Anpacken statt Stillstehen“, sagt er, und als Demokratie-Berater sei das besonders gut möglich; auf diese Weise komme er mit so vielen Mitgliedern wie möglich in Kontakt und könne gut erkennen, wie die Stimmung sei und wo es gegebenenfalls gerade klemme. „Und wenn man die Probleme lösen kann, ist es für alle gut.“