Programm für demokratisches Handeln und gegen Extremismus

Mehr gesellschaftliche Teilhabe durch den NaturFreunde-Nachbarschaftstreff

Im NaturFreunde-Nachbarschaftstreff in Wutha-Farnroda bieten Stärkernberater/-innen, die im Rahmen von "Zusammenhalt durch Teilhabe" ausgebildet wurden, als Teil eines großen Netzwerks unterschiedliche Formate zum gemeinsamen Austausch und zur Freizeitgestaltung an.

Autorinnen: Saskia Scheler, Koordinatorin des Netzwerks der NaturFreunde-Stärkenberatung; Rachel Lankes vom Stärkenberatungsprojekt der NaturFreunde Thüringen

Die Stärkenberatung der NaturFreunde als solidarisches Unterstützungsnetzwerk für Engagierte im ländlichen Raum


Das NaturFreunde Nachbarschaftstreff
Das NaturFreunde Nachbarschaftstreff
Das demokratische und solidarische Miteinander wird bei den NaturFreunden seit jeher großgeschrieben. Der Verband blickt seit seiner Gründung auf eine lange Tradition im Einsatz für Mitbestimmung, Teilhabe, Solidarität und Internationalismus zurück. Im Jahr 2019 scheinen diese Ziele in der deutschen Gesellschaft jedoch so stark infrage gestellt wie lange nicht. Die ansteigende Skepsis gegenüber der Grundbasis eines friedlichen, toleranten und solidarischen Miteinanders sowie zunehmende rassistische Stimmungsmache bis hin zu Gewalt stellen viele der bundesweit über 600 Ortsgruppen der NaturFreunde vor neue Herausforderungen. Angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen sind die vielfältigen gesellschaftspolitischen Freizeitangebote der NaturFreunde, die sich an alle Teile der Gesellschaft richten, Menschen miteinander ins Gespräch bringen und dadurch einen Beitrag zu einem vielfältigen zivilgesellschaftlichen Angebot gerade in ländlichen Gegenden leisten wollen, dabei eigentlich Gebot der Stunde. Darüber hinaus fehlt vielen Menschen unter anderem aufgrund zunehmender Flexibilitätsanforderungen im Erwerbsleben und hoher Beanspruchung durch Erziehungs- oder Pflegetätigkeiten die Zeit, sich nachhaltig ehrenamtlich einzubringen. Dies sind nur Beispiele für die Herausforderungen, mit denen sich auch die Strukturen der NaturFreunde konfrontiert sehen, wenn sie mit ihren Werten über die Verbandsgrenzen hinaus werben und durch sie neue Mitstreiter*innen gewinnen wollen.

Ein Instrument, um die prodemokratischen Strukturen der NaturFreunde nach innen zu überprüfen und zu stärken sowie um nach außen die NaturFreunde als Alternative der solidarischen Freizeitgestaltung bekannter zu machen, stellt die »Stärkenberatung« dar. Die Stärkenberatung der NaturFreunde bietet engagierten Mitgliedern die Möglichkeit, sich als ehrenamtliche NaturFreunde-Berater*innen ausbilden zu lassen, um im Anschluss daran anderen NaturFreund*innen unterstützend zur Seite zu stehen. Bei der Stärkenberatung handelt es sich um ein Projekt, das bei den NaturFreunden Thüringen bereits seit 2013 erfolgreich umgesetzt wird und inzwischen auch in den NaturFreunde-Landesverbänden Bayern, Baden und Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen etabliert ist. Gefördert wird die Stärkenberatung durch das Bundesprogramm »Zusammenhalt durch Teilhabe«. Das Bundesprogramm will Vereine, Verbände und engagierte Multiplikator*innen insbesondere im ländlichen Raum stärken, die sich für ein friedliches, gleichwertiges und weltoffenes Zusammenleben einsetzen und es somit demokratiefeindlichen Kräften erschweren, in diesen Regionen Fuß zu fassen.

Demokratiefördernde Mitmachangebote in den Regionen stärken


Logo der NaturFreunde Thüringen
Logo der NaturFreunde Thüringen
Die NaturFreunde als Verband, der Ende des 19. Jahrhunderts als Teil der internationalen Arbeiter*innenbewegung entstand, legt dabei Wert auf Selbstorganisation: Das Stärkenberatungsprojekt basiert auf einem »Hilfe zur Selbsthilfe«-Ansatz. Ehrenamtliche Engagierte werden in vier Wochenendmodulen zu verbandsinternen Berater*innen der Demokratie- und Partizipationsförderung ausgebildet. Sie erlangen Grundkenntnisse in Konfliktlösung, systemischer Beratung, Moderation und Handlungsoptionen gegen menschenverachtende Einstellungen. Ausgebildete Stärkenberater*innen können im eigenen Verband aktiv werden und beispielsweise Ortsgruppen, Vorstände, Fachgruppen oder Einzelpersonen der NaturFreunde beraten, Konfliktlösungsprozesse begleiten, Änderungsprozesse anstoßen oder gemeinsam mit Engagierten Ideen zur Partizipationsförderung entwickeln. Damit sollen bestehende demokratische Verbandsstrukturen in ihren Aktivitäten gestärkt und so für Menschen ein demokratieförderndes Mitmachangebot gerade in strukturschwachen Orten gemacht werden.

Gleichzeitig wollen die NaturFreunde auch nach außen mit und für die Werte werben, für die der über 120 Jahre alte Verband steht – Solidarität, Nachhaltigkeit, Weltoffenheit, Einsatz für Frieden und internationalen Austausch. Die Stärkenberatung leistet hierzu einen wichtigen Beitrag. Die ehrenamtlichen Stärkenberater*innen haben nicht nur vielfältige Erfahrungen und kreative Ideen im Umgang mit Vorurteilen und demokratiefeindlichen Einstellungen, sondern verfügen über den jeweiligen Landesverband der NaturFreunde und die Projektbüros auch über ein breites Netzwerk an überregionalen Akteur*innen, Partner*innen und Institutionen, das Unterstützung für die Regionen bereitstellen kann, in denen NaturFreund*innen aktiv sind. Mit diesem Netzwerk im Rücken können die Stärkenberater*innen ihre Ideen einbringen und gemeinsam mit den NaturFreunde-Strukturen vor Ort kreative Formate entwickeln, um gesellschaftliche Debatten in der Region anzustoßen oder prodemokratische Prozesse bestehender Initiativen im ländlichen Raum zu begleiten.

Teil eines demokratiestärkenden Netzwerks


Die Netzwerkarbeit – innerhalb des Verbandes sowie darüber hinaus – trägt daher maßgeblich zu den Erfolgen der Stärkenberatung bei. Die NaturFreunde Thüringen erproben über den sogenannten Programmbereich 1B des Förderprogramms »Zusammenhalt durch Teilhabe«, bei dem Netzwerkarbeit und das lokale Wirken im Gemeinwesen im Fokus stehen, zahlreiche Formen der Kooperation mit lokalen und regionalen Akteur*innen. Stärkenberater*innen der NaturFreunde können dabei als Multiplikator*innen gute Beispiele demokratischer Initiativen im Gemeinwesen anderer Orte abstrahieren und den Engagierten in der jeweiligen Region als Idee anbieten. Über öffentliche Veranstaltungen wie Workshops und Filmvorführungen zu Themen, mit denen sich die ehrenamtlich Aktiven zur Stärkung von Demokratie und Menschenrechten auseinandersetzen, werden Diskussionen mit Einwohner*innen und Aktiven aus anderen Vereinen vor Ort gesucht, um gemeinsam zu reflektieren, wie der gesellschaftliche Zusammenhalt im Ort bereichert werden kann.

Die bisherige Praxis zeigt dabei: Besonders nachhaltige Erfolge kann die Stärkenberatung insbesondere dann erzielen, wenn lokale Anlaufpunkte wie Naturfreundehäuser, Gemeinschaftsgärten, Nachbarschaftstreffs, Wanderhütten und ähnliche Orte als Brücke zwischen der landesweiten Struktur der NaturFreunde mit ihren guten Kontakten zu weiteren Verbänden, Fachstellen und Organisationen und den konkreten Anliegen der lokalen Bevölkerung existieren. So können Naturfreundehäuser beispielsweise zu einem Tag der offenen Tür Interessierte einladen, sich über die NaturFreunde zu informieren und gemeinsam an kleinen Projekten im Gemeinwesen zu arbeiten.

Der Nachbarschaftstreff in Wutha-Farnroda: Ein Ort der Begegnung


NaturFreunde Thüringen - STÄRKEN-Berater
Stärkenberater, NaturFreund/-innen Thüringen
Ein gutes Beispiel der Kooperation verschiedener Akteur*innen mit der NaturFreunde-Stärkenberatung stellt ein Nachbarschaftstreff in Thüringen dar. Seit 2018 sind die NaturFreunde Thüringen e.V. Träger des Nachbarschaftstreffs in Wutha-Farnroda, einer Gemeinde im Thüringischen Wartburgkreis, unweit von Eisenach entfernt. Finanziert wird das Projekt als offener Anlaufpunkt und Möglichkeit des Austauschs und des Zusammenhalts der Einwohner*innen von Wutha durch die lokale »Partnerschaft für Demokratie« der Stadt Eisenach und der Gemeinde Wutha-Farnroda »Vielfalt tut gut« im Rahmen des Bundesprogramms »Demokratie leben!« und dem Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit »DENK BUNT«.

Das Wohngebiet »Auf dem Mölmen« in Wutha-Farnroda sieht sich mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert. Plattenbauten aus den 1980er Jahren prägen das Bild. Seit den 1990er Jahren sinken die Anwohner*innenzahlen. Das Wohngebiet gilt als ökonomisch schwach und erschwert aufgrund der vorherrschenden Bedingungen die soziökonomische Integration der hier wohnenden Menschen. 2015 wurde der leerstehende Wohnraum genutzt, um ein neues Zuhause für geflüchtete Menschen zu schaffen, die im Wartburgkreis Zuflucht suchten. Viele Menschen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen und Herausforderungen, Geflüchtete, junge Familien und Rentner*innen, wohnen seitdem »Seit an Seit« in dem Wuthaer Wohngebiet – mit wenigen Orten, an denen Erwachsene tatsächlich Möglichkeiten der Begegnung und des Kennenlernens haben.

In diesem Wohngebiet entstand der Nachbarschaftstreff, der heute in Trägerschaft der NaturFreunde Thüringen e.V. ist. Er bietet einen Ort, an dem sich Anwohner*innen des Wohngebiets und der Umgebung kennenlernen und in einen moderierten Austausch gehen können. Gleichzeitig stellt er eine Plattform dar, um gemeinsam mit Nachbar*innen, Mikroprojekte zu entwerfen und umzusetzen. Dabei stehen die Grundgedanken von Demokratiestärkung, Partizipation und generationenübergreifendem Austausch im Mittelpunkt. Über die NaturFreunde Thüringen als Träger konnte eine Kooperation mit dem Projekt der Stärkenberatung entstehen. Stärkenberater*innen setzten im letzten Jahr mehrere Angebote mit Besucher*innen des Treffs um. So wurde beispielsweise von ehrenamtlichen Stärkenberater*innen eine Ideenwerkstatt moderiert, in der die Anwohner*innen ihre Vorstellungen für den Treff und ihr Wohnumfeld diskutierten. Daraus entstand unter anderem ein Gartenprojekt, bei dem nicht nur Hochbeete angelegt und Gemüse angebaut wird, sondern auch Diskussionen um nachhaltige und regionale Ernährung geführt werden.

Die Stärkenberater*innen sind dabei in ein breites Netzwerk um den Nachbarschaftstreff eingebunden, das unterschiedliche Angebote für gemeinsamen Austausch und Freizeitgestaltung im Nachbarschaftstreff vorhält. Zum Netzwerk »Miteinander-Füreinander« zählen dabei unter anderem die Arbeiterwohlfahrt und die Volkssolidarität, aber auch Kirche und Gemeindeverwaltung beteiligen sich. Diese Netzwerkpartner begleiten Aktivitäten, wie gemeinsame Feste oder Kochabende, bei denen sich die Bewohner*innen nicht nur untereinander kennenlernen, sondern gleichsam gegenseitiges Verständnis und Toleranz entwickeln. Entstehen aus solchen gemeinsamen Tagen Diskussionen, offene Fragen oder auch Meinungsverschiedenheiten, bietet die enge Anbindung an die NaturFreunde-Stärkenberatung die Möglichkeit, diese zu bearbeiten. So teamten ehrenamtliche Stärkenberater*innen als eine Reaktion auf offene Diskussionspunkte im Nachbarschaftstreff Workshops zu gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen oder der Frage, wie Mitbestimmung auch auf lokaler Ebene funktionieren kann.

Demokratie zum Einüben


Demokratie, so sind die NaturFreunde überzeugt, erschöpft sich nicht in parlamentarischen Wahlen. Zur Demokratie gehört auch, wie Menschen an ihrem Wohnort zusammenleben, wie sie für ihre Interesse in der Erwerbswelt, in der Familie oder in ihrem Verein streiten, wie sie ihre Freizeit gestalten und mit welchem Respekt sie anderen Menschen begegnen. In der Gesellschaft demokratisch miteinander umzugehen, lernt man am besten, indem man die Erfahrung macht, dass man durch ein demokratisches und solidarisches Miteinander und indem man sich mit anderen zusammenschließt, mehr erreichen kann. Die NaturFreunde-Stärkenberatung kann einen Beitrag hierzu leisten, indem sie Engagierte darin unterstützt, diese Erfahrungsräume bereitzustellen. Die Vielfalt an Partizipations- und Beteiligungsmöglichkeiten, an kulturellen und gesellschaftspolitischen Angeboten sowie an den infrastrukturellen Voraussetzungen hierfür ist strukturell bedingt in ländlichen Regionen geringer ausgeprägt. Mangelt es jedoch an demokratischen Selbstwirksamkeitserfahrungen und an aktiven Austausch mit von der eigenen abweichenden Meinungen, werden Stereotype sowie antidemokratische und diskriminierende Denkmuster nicht in Frage gestellt. Im schlimmsten Fall ist es dort für antidemokratische Kräfte leichter, Fuß zu fassen. Gerade auf strukturschwache, ländliche Regionen haben die NaturFreunde mit ihrer Stärkenberatung daher ein Augenmerk gelegt. Das Stärkenberatungsprojekt der NaturFreunde kann Impulse für die bessere Vernetzung, effektive Nutzung bestehender Netzwerke und gegenseitige Unterstützung für regionale und in der Mehrheit ehrenamtliche Akteur*innen und Strukturen setzen, die für ein tolerantes und solidarisches Zusammenleben einstehen. Damit ist der Verband bestrebt, einen Beitrag zur Demokratiestärkung, zum Abbau von Vorurteilen und zur Unterstützung von engagierten Menschen im ländlich geprägten Raum, die die Gesellschaft prodemokratisch verändern wollen, zu leisten.



Der Artikel ist ursprünglich im BBE-Newsletter für Engagement und Partizipation in Deutschland des Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) erschienen, der hier aufgerufen werden kann.