Programm für demokratisches Handeln und gegen Extremismus

Interview: „Irgendwann fängt das Bild an, für sich zu sprechen“

Das Ende der Veranstaltung rückt in Sicht: Zeit noch einmal zurückzublicken, was geschafft und geschaffen wurde. Einem sehr handfesten Resultat der Veranstaltung konnten wir in den letzten zwei Tagen beim Wachsen zusehen. Christian Ridder ist Graphic Recorder. Ihm ist zu verdanken, dass aus einer großen weißen Fläche ein buntes Plakat mit vielschichtigen Informationen und Metaphern wurde. Wie er als Einzelperson diese große Veranstaltung auf eine etwa zwei-mal-fünf-Meter große Fläche gebracht hat, erzählte er uns im Interview.

Christian Ridder
Christian Ridder

Herr Ridder, wie gehen Sie an so eine Aufgabe ran, ein Projekt zu begleiten und daraus eine grafische Dokumentation herzustellen?

Christian Ridder: Ich fand das gestern sehr lustig, was Wolfgang Looss gesagt hat, denn da habe ich mich sehr stark drin erkannt. Er hat gesagt, es geht erst einmal um die Akteure: Wer hat irgendeine Rolle? Und das war einer der ersten grünen Zettel, die ich aufgehängt habe, um erst einmal festzustellen: wer spielt mit, wer muss abgebildet werden? Als zweites heißt es natürlich: Welche Themen beschäftigen sie, woran arbeiten sie oder welche Probleme haben sie? Und das bildet man ab. Und Herr Looss hatte auch über die Orientierung für die Expedition gesprochen, über eine Partitur, nach welcher Logik man irgendwie zu einer Lösung kommen kann. Das kann man relativ abstrakt machen, indem man sagt: Es gibt zwei Hände, die müssen zusammenarbeiten und damit kann man „gemeinsam Vielfalt gestalten“ bildhaft abbilden. Dann hat man die große Struktur und man kann anfangen, sie mit Details zu befüllen. Das ist im Prinzip eine Frage von Zuhören. Und in dem, was man hört, da sind schon viele metaphorische Bilder drin.

Jetzt gibt es relativ viele Programmpunkte, aber Sie sind nur eine Person. Wie gehen Sie damit um und haben Sie Angst, dass Sie auch mal was verpassen?

Man kann nicht überall gleichzeitig sein. Ich mache es mir selber einfach, da ich nicht den Anspruch habe bzw. das auch nicht als Zweck sehe, alles zu protokollieren. Es ist zwar ein grafisches Protokoll, aber wenn ich abwäge, was alle gesagt haben, dann geht das A) nicht und B) würde einen das zerschlagen. Das wäre so umfangreich, das würde keinem was bringen. Es lebt von dem Fokussieren, von dem Auf-den-Punkt-Bringen und da kommen einfach bestimmte Themen öfter zurück. Man spürt auch irgendwann, was die wichtigen Themen sind. Dann kann es natürlich sein, dass man ganz knackige Aussagen verpasst. Zum Beispiel rund um das Thema „Vielfalt gestalten“ hat Wolfgang Looss gesagt: „Die Gestaltung von Vielfalt beginnt damit, dass wir Unterschiede akzeptieren lernen.“ Das ist ein Satz, wenn du den nicht in dem Moment, wo er gesagt wird, aufnimmst, dann ist er weg. Aber da ist eine Reichhaltigkeit an Sachen: Hier sind vielleicht 20 Aussagen drauf, von denen ich das Gefühl habe, die treffen den Kern. Es gab aber sicherlich 200, und ich habe 90 Prozent verpasst.

Als Autorinnen stehen wir manchmal vor einer Schreibblockade. Uns fällt einfach nichts ein. Passiert Ihnen das auch manchmal, dass Sie manchmal vor dem Plakat stehen und nicht wissen, was Sie als nächstes schreiben oder zeichnen sollen?

Ja, das habe ich schon, aber das ist dann nicht so eine Blockade in mir nach dem Motto: Jetzt gibt es keine Kreativität mehr. Da gibt es eine Ursache für. Und da begibt man sich schon auf die Suche: Ist der Platz für das ausgewählte Element nicht richtig, ist das irgendwo anders logischer? Oder dann stelle ich mir die Frage: Ist das, was ich hier mache, der Kern oder ist das eigentlich etwas anderes? Und dann versuche ich, einen Schritt zurückzugehen – wortwörtlich oder in Gedanken – und zu überlegen, welches Gefühl habe ich dabei und wo hatte ich dieses Gefühl schon einmal. Dann kommt einem selbst manchmal schon ein metaphorisches Bild.

Und was ist für Sie der schönste Moment im ganzen Schaffungsprozess?

Es gibt mehrere spannende, schöne Momente. Ein wichtiger passiert öfter schon vor der Veranstaltung, wenn man sich in die grobe Struktur der Spieler schon mal eindenkt und einen Faden findet, der sich durch das Bild zieht. Gestern morgen war ich zum Beispiel immer noch nicht happy mit dem Konzept, das ich im Kopf hatte. Ich habe gedacht: Da fehlt was Konkretes, etwas Handfestes, was die Leute hier tun. Und dann kam die Idee von den zwei Händen als wichtiges, zentrales grafisches Element. An dem Moment ist relativ schnell klar: Fällt alles in Platz – ja oder nein? Und wenn ja, ist das Wichtigste geschafft. Und alles andere wird dann auch noch. Das ist ein wichtiger Moment. Und, was für mich auch immer ein schöner Moment ist: wenn ich merke, am Anfang ist da ein Konzept mit vielen Zetteln und die Leute finden keinen Zugang und irgendwann fängt das Bild an, für sich zu sprechen. Die Leute kommentieren, die erkennen Sachen, die gehen auf Details ein oder die regen Dinge an. Alles fängt an, seinen Zweck zu erfüllen. Und es ist natürlich schön, das fertig zu stellen, wenn die Leute sagen: Kann ich das abfotografieren? Wo wird das aufgehängt? Das ist auch immer schön, zu merken, dass die Leute das zu schätzen wissen.

Vielen Dank für Ihre Zeit!

SG