Angriff über den rechten Flügel – wie Verbände die demokratische Vielfalt im Sport verteidigen
Dass ein international bekannter Fußballspieler, der 1990 kurz nach der Wiedervereinigung in Gelsenkirchen geboren wurde, sich einmal dafür rechtfertigen muss, dass er irgendwie und eigentlich ja gar nicht so richtig Deutscher sei, also jedenfalls nicht so wie Franz Beckenbauer oder Gerd Müller – dass dieser Vorwurf ausgerechnet im Fußball-EM-Jahr 2024 kurz vor Turnierbeginn ein Thema sein würde, hat nicht nur diesen Fußballspieler traurig gemacht. Gemeint ist natürlich Ilkay Gündoğan, der kurz vor der EM im eigenen Land die Kapitänsbinde der deutschen Fußballnationalmannschaft der Männer über den Oberarm streifen durfte. Ein Riesenprivileg sei das für ihn, hat Gündoğan zu Protokoll gegeben, eine unfassbare Ehre.
Das sahen nicht alle der gut 80 Millionen Bundesbürgerinnen und -bürger so, für die der Mittelfeldspieler, der ein Jahr zuvor noch als deutscher Fußballer des Jahres ausgezeichnet wurde, auf dem Rasen antrat. In einer repräsentativen Umfrage für die WDR-Dokumentation „Einigkeit und Recht und Vielfalt“ hatten 17 Prozent der Befragten angegeben, dass sie es „schade“ fänden, dass der DFB-Kapitän türkische Wurzeln habe. Außerdem äußerten immerhin 21 Prozent, dass wieder mehr „weiße“ Spieler in der Nationalmannschaft spielen sollten.
Wait. What?
Nun könnte man sich verwundert die Augen reiben über die Sinnhaftigkeit, einen Zusammenhang herzustellen zwischen dem Geburtsort von Vorfahren, einer Hautfarbe und der charakterlichen Eignung, die Interessen von zehn Mitspielern auf einem Fußballfeld zu vertreten. So richtig überraschend ist das Umfrageergebnis allerdings auch wieder nicht – weder für Gündoğan noch für all jene Menschen, die sich in Sportbünden, -verbänden und -projekten mit den Themen Diskriminierung und Rassismus beschäftigen.
Dort nämlich, in den Verbänden und Vereinen, machen sich Sportdirektor/-innen und Vereinsvorsitzende schon so ihre Gedanken, dass die Werte des Sports wie die Achtung der Menschenrechte, Vielfalt, Fair Play, Respekt und Teilhabe nicht von allen Mitgliedern gleichermaßen geteilt und gelebt werden. Wie Ex-Nationalspieler Gündoğan haben auch die Menschen in den Strukturen gemerkt, dass der Wind inzwischen aus einer anderen Richtung weht als vor zehn oder fünfzehn Jahren. Aenne Kopprasch zum Beispiel, die das Projekt „Sport zeigt Gesicht! Gemeinsam couragiert handeln“ leitet, das vom Bundesprogramm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ gefördert wird.
Der Landessportbund ist seit Jahren im Bundesprogramm engagiert – Aenne Kopprasch auch. „Als ich angefangen habe“, erzählt sie, „da gab es auch schon Rechtsextreme, aber vor allem außerhalb des organisierten Sports, und wir wollten den Sport davor bewahren, dass er unterwandert wird.“ Inzwischen sei ihr Eindruck aber, dass die gesellschaftlichen Werte, die auch im Grundgesetz verankert seien – Menschenwürde zum Beispiel –, im Sport nicht mehr uneingeschränkt geteilt würden.
Wie man Worte auf Papier zu Leben erweckt
Kopprasch und ihr Team arbeiten daran, das – wieder – zu ändern. Wie das geht? Unter anderem mit Bildungsarbeit, der Ausbildung von Trainerinnen und Trainern, mit Beratungen und Interventionen, wenn es in Vereinen zu diskriminierenden oder rassistischen Vorfällen gekommen ist, und auch mit der Entwicklung von Leitbildern und Vereinssatzungen, die es im Fall der Fälle auch erlauben, sich von Mitgliedern, die gegen diese Werte in den Satzungen verstoßen, zu trennen.
Sich mit diesen unbequemen Themen auseinander zu setzen und sich klar zu positionieren, ist aber mitunter gar nicht so einfach. „Es gibt oft die Wahrnehmung von Vereinen, dass sie politisch neutral seien. Die würden ja nur Sport machen, aber zu gesellschaftspolitischen Themen dürften sie sich nicht verhalten,“ erzählt Nico Mikulic, der bei der Sportjugend Hessen ein durch Zusammenhalt durch Teilhabe gefördertes Projekt umsetzt. „In den Satzungen steht schon, dass Vereine parteipolitisch neutral sind. Aber das heißt ja nicht, dass sie politisch keine Meinung haben dürfen. Wenn die sich zum Beispiel für Geflüchtete einsetzen und ihnen gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen – das ist politisches Handeln. Wenn es dann im Vereinsumfeld rechtsextreme Umtriebe gibt, dann dürfen die Vereine schon sagen/- Ne, das wollen wir bei uns nicht haben, weil wir ein Ort sind, wo sich alle Menschen wohlfühlen sollen.“
Nein sagen, Paroli bieten – solche Handlungsspielräume gibt es immer dann, wenn die Vereine in ihren Leitbildern und Satzungen bereits bestimmte demokratische Werte verankert haben. Manchmal aber müssen Begriffe, die in Satzungen stehen, auch definiert und mit Leben gefüllt werden. Daran arbeitet Mikulic mit dem Projekt „DemoS! - Sport stärkt Demokratie!“, das ebenfalls vom Bundesprogramm Zusammenhalt durch Teilhabe gefördert wird. Fair Play zum Beispiel bedeutet ja nicht nur, den Gegner/-innen nach dem Spiel die Hand zu reichen. Sondern heißt auch, sie nicht rassistisch oder sonst wie zu beleidigen. Auch Respekt ist ein Wort, das in Satzungen häufig vorkommt, aber durchaus unterschiedlich ausgelegt wird und immer wieder neu mit Leben gefüllt werden muss.

Projekte stärken Ehrenamtlichen den Rücken – durch Handlungskompetenzen
Das ist nicht ganz einfach zu einer Zeit, in der eine Reihe von Menschen nur von Fußballnationalspielern mit weißer Hautfarbe vertreten werden wollen. Wie schon gesagt, diese Stimmung kommt auch bei den Leuten vor Ort an – bei den Ehrenamtlichen in den unzähligen Sportvereinen, die als Übungsleiter/-innen und Trainer/-innen oder in anderen Funktionen viel Freizeit investieren und zunehmend mit Rassismus, Diskriminierung, Konflikten und Gewalt konfrontiert sind. Für genau diese Leute, die sich vor Ort engagieren, arbeiten Projekte wie „BeratenBewegen – DRANBLEIBEN“ der Brandenburgischen Sportjugend im Landessportbund Brandenburg. Hier werden Haupt- und Ehrenamtliche in den Vereinen darin gestärkt, mit rassistischen und diskriminierenden und undemokratischen Situationen in ihren Vereinen kompetent umzugehen – und die demokratischen Werte aufrechtzuerhalten.
Dass der Sport sich einsetzt für Diversität, Vielfalt, Antidiskriminierung, Antirassismus und Inklusion und im Extremfall auch mal ein rechtsextremes Mitglied einen Verein verlassen muss, all das macht die Welt nicht automatisch zu einem besseren Ort. Aber, sagt Aenne Kopprasch vom Landessportbund Thüringen: Vereine zeigen damit deutlich, dass diese Werte nicht nur auf dem Papier existieren, sondern Grundlage ihres Vereinslebens sind. Das hat auch etwas mit Repräsentanz zu tun. Und mit Haltung.