Zusammenhalt durch Teilhabe - Programm für demokratisches Handeln und gegen Extremismus

Demokratie erfordert Engagement

Wie zwei Projekte Menschen zu mehr Engagement und Gemeinschaft aktivieren



Mehr als ein Dutzend Mal hatte es schon gebrannt im Rhein-Main-Gebiet, und immer waren linke und alternative Wohn- und Kulturprojekte betroffen. In der Nacht vom 23. auf den 24. Januar 2019 brennt auch das Vereinsheim der Naturfreunde Hessen im Frankfurter Stadtteil Gallus, in dem die Geschäftsstelle des Landesverbandes untergebracht ist. Verletzt wird niemand, der Brand ist schnell gelöscht. Trotzdem sind die Mitglieder des Verbandes besorgt, weil man, wie bei den anderen Brandanschlägen, einen rechtsextrem motivierten Hintergrund vermutet. Es fühlt sich mulmig an, möglicherweise ins Visier der Rechtsextremen geraten zu sein.
Die NaturFreunde sind ein internationaler politischer Freizeitverband, dessen Wurzeln in der Arbeiterbewegung des späten 19. Jahrhunderts liegen. Aktiv setzt sich die NaturFreunde-Bewegung gegen die Ausgrenzung von Minderheiten, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus ein, auch in dem Projekt „Demokratie den Rücken stärken - Stärkenberatung der NaturFreunde Hessen“, das vom Bundesprogramm Zusammenhalt durch Teilhabe gefördert wird. Es bildet ehrenamtlich Aktive zu sogenannten Stärkenberater/-innen aus- und weiter, damit sie wissen, wie man sich gegen Rechtsextremismus, Sexismus, Antisemitismus und andere demokratiefeindlichen Ideologien einsetzen kann. Diese Stärkenberater/-innen wirken in den Verband hinein: Als Multiplikator/-innen befähigen sie auch andere Mitglieder, der – wie der Projekttitel schon sagt – Demokratie den Rücken stärkt.

Gemeinsame Interessen stärken die Gemeinschaft
Das geschieht auch in Frankfurt, wo die Stärkenberater/-innen sich gemeinsam mit den Verantwortlichen nach dem Brand des Vereinsheims im Gallusviertel etwas Besonders ausgedacht und den „Demokratiegarten“ auf die Beine gestellt haben. „Unser Haus liegt in einem Viertel, in dem es wenig kulturelle Angebote gibt“, erklärt Jutta Schmidt Machado. Das Vereinsheim war bislang auch nicht wirklich gut ins Viertel integriert. Gemeinschaft aber bietet immer auch größeren Schutz.
„Es geht uns hauptsächlich darum, Leute zu involvieren, auch solche, die aus welchen Gründen auch immer noch nicht so aktiv sind“, sagt Schmidt Machado. Beim Pflanzen und Gießen können sich die Bewohner/-innen aus dem Viertel begegnen. Einige haben Patenschaften für Beete übernommen, und mittlerweile ist der "Demokratiegarten" an die Ortsgruppe Frankfurt übergeben worden. Er ist jetzt ein "Stadtgarten" und wird von einer Stärkenberaterin betreut. Sie veranstaltet monatlich ein Siedlungscafé oder organisiert eine Tauschbörse – alles Aktivitäten, die es vor dem Demokratiegarten im Viertel nicht gegeben hat und die mit dafür sorgen, dass die Bewohner/-innen sich näher kommen und gemeinsam für „ihren“ Garten einsetzen.

Wie man Ablehnungserfahrungen in Engagement ummünzt
Was in Hessen Stärkenberater/-innen sind, sind ein wenig weiter südwestlich im Projekt „Teges 2.0 – Durch Teilhabe den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken“ des Evangelischen Fachverbands für Arbeit und Soziale Integration in Stuttgart (EFAS) „Demokratieberater/-innen“. Nur dass hier keine Verbandsmitglieder aus- und weitergebildet werden. Sondern langzeitarbeitslose Menschen, die die Angebote des EFAS in Anspruch nehmen.
Der EFAS ist ein bundesweites Netzwerk evangelisch-diakonischer Sozialunternehmen, die sich für die berufliche und soziale Integration erwerbsloser Menschen engagieren. Wenn man Umfragen über Arbeitslose glauben darf, dann hält die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland Menschen, die Sozialleistungen vom Staat erhalten, für „arbeitsunwillig“. Auf gut Deutsch: für faul. Zwar widerspricht die Bundesagentur für Arbeit diesen Überzeugungen, das ändert aber nichts daran, dass Langzeitarbeitslose von einem Großteil der Gesellschaft ausgegrenzt und abgelehnt werden. Die Folgen von Langzeitarbeitslosigkeit – Stigmatisierung, Verarmung, gesundheitliche Probleme – treffen dabei die arbeitslose Person selbst und auch ihre Familien sowie ichr nahes Umfeld. Die dauerhafte Ablehnung, sagt Projektleiterin Rebecca Lo Bello, führe oft zu einem Rückzug aus der Gesellschaft – und mache anfälliger für populistische Tendenzen. Gerade deshalb, wirbt Teges 2.0 genau bei Langzeitarbeitslosen dafür, sich wieder mehr für die Gesellschaft einzusetzen und sich zu beteiligen.
Schnappschuss
Schnappschuss

Viele der Menschen, mit denen sie zusammenarbeiten, haben das Vertrauen in die Demokratie verloren. „Wenn wir dann kommen und sagen, es ist wichtig, dass du dich mit deiner Erfahrung und deiner Geschichte engagierst, dann sind sie oft überrascht“, sagt Lo Bello. Die Langzeitarbeitslosen seien, siehe oben, ja eher an Ablehnung und Ausgrenzung gewöhnt als an Interesse an ihren Lebensumständen. Der Politik aber, und auch dem zivilgesellschaftlichen Engagement und damit der Gesellschaft, fehle die Perspektive armer Menschen. Deshalb bemühen sich Lo Bello und ihr Team darum, Langzeitarbeitslose für ein Engagement zu aktivieren.

Ressentiments ernst zu nehmen, heißt nicht, sie gutzuheißen
Das Projekt schult die Demokratieberater/-innen, damit sie anschließend selbst aktiv werden – zu gesellschaftspolitischen Themen, die aus der Gruppe selbst gewünscht werden. „Die Teilnehmenden erfahren: Es wird nichts über meinen Kopf hinweg entschieden“, fasst Lo Bello den Ansatz zusammen. Das ist unfassbar wichtig für Menschen, die sich bisher immer an den Rand gedrängt fühlten. So kommt es, dass eine Projektteilnehmerin sich jetzt zum Thema Ausstieg aus der Prostitution engagiere, eine Kollegin mit Geflüchteten arbeitet, und andere sich für die politische Bildung von Menschen in prekären Lebenslagen stark machen.
Geflüchtete, das ist ohnehin so ein Dauerkonfliktthema, wenn man es mit Menschen zu tun hat, die nicht immer wissen, wie sie über die Runden kommen sollen. Mit der Aufnahme so vieler Menschen aus der Ukraine seien die Verteilungskämpfe wieder offensichtlicher geworden, beschreibt Lo Bello das Problem. Mehr Leute heißt nämlich auch, dass es für von Armut betroffene Menschen noch schwerer wird, zum Beispiel eine Wohnung zu finden. Auch bei den Tafeln müssten oft plötzlich doppelt so viele Leute versorgt werden. Natürlich führe das zu Ressentiments, sagt Lo Bello und erzählt, dass Tafelbesucher einen Brief an ihren Bürgermeister geschrieben hätten, in dem unter anderem stand, dass „die Ukrainer ihren Kindern die Kinderschokolade wegnähmen“. Gemischt mit weiteren, rechtspopulistischen, „sehr krassen Aussagen“.
„Wir heißen das nicht gut“, sagt Lo Bello. Aber man müsse die Bedürfnisse der Leute schon ernst nehmen.
Im Gespräch
Im Gespräch
Gemeinsam mit Sozialarbeiter-/innen hat das Projekt einen Ansatz entwickelt, der darin besteht, mit Betroffenen in Rollenspielen über ihre Bedürfnisse zu sprechen. „Wir versuchen herauszufinden, was die Menschen eint. Und wir wollen das Problem ganz klar benennen. Es geht ja um begrenzte Ressourcen.“ Das Ziel der Aufgabe sei, dass die Lösung nicht im Bekriegen gesehen wird, sondern dass man sich zum Beispiel gemeinsam für andere Rahmenbedingungen einsetze. Dabei werden die Langzeitarbeitslosen von den Demokratieberater-/innen unterstützt – von Expert-/innen in eigener Sache, die die Erfahrung schon gemacht haben, dass Engagement immer auch ein Schritt ist, die eigene Perspektive sichtbar zu machen in einer Gesellschaft, an der alle teilhaben sollen.